Zum 12. Monat

Wer mich kennt, ahnt, dass ich hier kein Gedicht über die unendliche Mutterliebe poste. Zu dem Thema gibt es unfassbar viel Material überall im Internet, das muss ich nicht noch füttern. Außerdem ist es schwierig, das ohne einen Kübel Kitsch zu formulieren und meine Reimzeiten sind länger her.

Vor genau einem Jahr war ich gerade bei harter körperlicher Arbeit. Der kleine Held arbeitete mit, so gut man das mit Nabelschnur um den Hals eben kann. Schlussendlich arbeiteten Ärzte, der Lercherich und die Hebamme auch noch mit uns. Das Ergebnis jedenfalls ist die Mühe wert.

Dass Muttersein nicht ausschließlich aus rosa Wölkchen besteht, wenn man vom Typ mehr die selbstkritische, weltkritische Pessimisten-Verhirnte ist, war mir vorher klar. Dass ich den kleinen Held von Kopf bis Fuß durchdenke und meine Normtabellen im Kopf habe, auch. Das macht mich zu einer schwierigen Mutter, denn die schönen Momente zu genießen, ist nicht besonders einfach.

Zum Glück braucht es dafür nicht viel, denn sie überrollen mich einfach. Emotionen haben in meinem System die schöne – manchmal auch hinderliche – Angewohnheit, durchzubrechen. Einfach so. Ich kann dann nur noch entscheiden, ob ich sie gerade auf Dauer haben möchte, bremsen muss oder einfach genieße. In diesen 12 Monaten konnte ich mich oft für letzteres entscheiden.

Der kleine Held war für mich von Anfang an vor allem deshalb ein Held, weil er mit mir als Mutter durchhält. Es gibt sicher bessere Optionen. Trotzdem ist er genauso fröhlich, trotzig, quengelig, offen oder schüchtern wie ganz viele andere Kinder. Er freut sich, mich zu sehen, er zeigt, was er möchte, er traut sich Dinge zu, er traut aber auch mir.

Er ist, wie er ist, ein toller Mensch.

Er mag andere Kinder und geht gerne auf sie zu. Er ist völlig furchtlos bei Hunden, wenn sie ihm den Hintern zudrehen. Wenn sie sich ihm mit der Schnauze nähern, sucht er Hilfe. Er krabbelt selbst Treppen hoch und bemüht sich, sie auch wieder runter zu klettern. Er isst gerne. Er wirft Dinge durch die Gegend und liebt Bälle. Er nimmt sich selbst Bilderbücher und erzählt, während er durchblättert. Er ist die größte Wasserratte, die ich kenne und springt auch vom Beckenrand einfach rein. Er tanzt zur Musik, vor allem, wenn der Beat klar ist. Er lacht bei Punk. Er zeigt deutlich, wenn er etwas möchte und wird zornig, wenn er es nicht bekommt. Er kuschelt sehr gerne und tankt dabei Energie auf. Er erobert alle Spielplätze. Er mag Ausflüge und wird gerne im Tragetuch oder der Tragehilfe getragen. Er ist beim Arzt tapfer. Naseputzen, Gesicht abwischen und Eincremen hasst er. Er wühlt gerne im Dreck und manchmal isst er ihn auch noch. Er spricht noch kein verständliches Wort, erzählt aber den ganzen Tag. Laufen traut er sich noch nicht. Die Krippe besucht er gerne, sofern seine Erzieherin da ist – aber nur halbtags.

Mein Ziel in diesem Jahr war, ihm eine sichere Basis zu geben. Ihm jederzeit uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Ihm dadurch die Sicherheit zu geben, selbst die Welt zu entdecken. Klassische Bindungstheorie eben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt glaube ich, wir haben gut vorgelegt.

Obwohl er bis heute nur manchmal durchschläft. Obwohl er extreme Mama-Phasen hat, in denen Papa völlig uninteressant ist. Obwohl er mich beim Schlafenlegen an den Rand meiner Nervenkapazität bringt. Obwohl ich erst gestern das erste Mal seit der Geburt nach 20 Uhr die Wohnung ohne ihn verlassen habe. Obwohl er lange viel genölt hat, ich quasi nie ausgeschlafen bin.

Obwohl er also ein normales Kind und wir normale Eltern sind.

Er ist eindeutig unser Kind. Willensstark, bewegungsfreudig, fröhlich, kommunikativ, kuschlig, offen, konzentriert, lustig.

Ich hoffe, dass er irgendwann gut damit zurecht kommt, wer er ist. Zufrieden mit sich und seinem Weg, eingebunden in die Gemeinschaft, offen und neugierig für die Welt. Warten wir die nächsten zwölf Monate ab.